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Lädierte Psyche hofft auf Rettung - Einem angejahrten Bühnenhit versucht Regisseur Klaus Rohrmoser neues Leben einzuhauchen - von GRETL KÖFLER
INNSBRUCK Die Straßenbahn namens "Sehnsucht" rumpelt über die angerosteten Schienen aus den ersten Nachkriegsjahren. Unweigerlich tauchen alte Filmbilder auf: Vivien Leigh, die kapriziöse Südstaatenschönheit mit der ausgewachsenen Neurose und Marlon Brando, der Macho mit dem animalischen Sex. Das Bühnenbild von Bettina Munzer sorgt für Gegenbilder. Das French Quarter in New Orleans hat sie aus der Geraden gekippt; unter einem brüchigen Holzgerüst scheinen die schäbigen Möbel wegzurutschen, festgehalten nur so lange, wie die Vorstellung dauert.

Am Beginn jeder Szene verdunkeln sich die Konturen sekundenlang zu Schattenrissen vor farbleuchtendem Rundhorizont, durchzuckt vom Lichtblitz der Erkenntnis. Auf der schrägen Rampe im Hintergrund tänzeln die Traumbilder. Ein glückliches Paar schwebt vorbei, ein anderes schlägt sich, wieder ein anderes hat sich für Mardi gras kostümiert, eine Anspielung auf den Ort, wo Tennessee Williams sein psychorealistisches Drama angesiedelt hat. Klaus Rohrmoser hat die codierte Konfrontation zwischen weiblicher Hysterie und männlicher Brutalität von beiden Seiten aufgebrochen. Begleitet vom Louisiana-Jazz versucht er eine Annäherung durch Cross-over. Keiner agiert nach den herkömmlichen Interpretationsmustern, weder als durchgeknallte Nymphomanien noch als brutaler Macho und schon gar nicht nach Frank Castorfs Salzburger Bühnendevise "Kapitalismus und Depression". Blanche und Stanley sind nicht eindeutig definiert, in ersterer schlummern spontan ausbrechende Aggressionen, die sich gegen die jüngere und intellektuell unterlegene Schwester Stella richten, in letzterem ein gerütteltes Maß an Komplexen auf der Suche nach Heilung. Charlotte Ullrich als Blanche ist kein ätherisches Wesen, sondern eine handfeste Bubikopf-Frau, die am ererbten Status und am Lehrerinnenberuf scheitert. Matthias Christian Rehrl als Stanley verbirgt seine labile Psyche geschickt hinter emotionalen Ausbrüchen. Die Vergewaltigung ist eigentlich der gemeinsame Nenner, auf dem sich die beiden treffen. Judith Keller übt sich als Ehefrau Stella in der typischen Hausfrauenrolle: überfordert, aber trotzdem liebevoll vermittelnd nach allen Seiten. Walter Sachers als potentieller Ehekandidat Mitch lässt einen zwiespältigen Muttersöhnchen-Charme spielen, und die Pokerrunde ist laut und rüde. - 2002-03-10 20:19:18