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2005 Tiroler Landesheater Innsbruck, McDermott/Crouch, Shockheaded Peter
Judith Keller als Chanteuse
Schrille Junk-Opera Shockheaded Peter (Struwwelpeter) im Landestheater - Süffiger Rock, massenhaft Horror, raffinierte Pictures und eine tolle Show. Judith Keller führt in schrillem Outfit und mit coolen Songs durch die Geschichten der Struwwelpeter. Bild: Landestheater

Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter" von 1844 wird unverdrossen nachgedruckt, und es ist zu fürchten, dass es noch immer Kinder gibt, die diese makabren Geschichten serviert bekommen. Die Briten gehen mit der deutschen schwarzen Pädagogik unverkrampfter um und verwandeln sie in schwarzen Humor. Phelim McDermott und Julian Crouch entdeckten, ein bisschen spät, den "Struwwelpeter" für die Szene, Martyn Jacques von der legendären Rockband The Tiger Lillies schrieb die Musik dazu. Das Ergebnis ist ein schrilles Grusical, und unser Staunen, wie viel subversives Potenzial in der biedermeierlichen Bestrafungspädagogik doch steckt.

Das wird in der rasanten Aufführung von "Shockheaded Peter" am Tiroler Landestheaters deutlich, weil sich Regisseur Oliver Karbus auf den rabenschwarzen Humor und die steile Überdrehung der Briten mit individueller Lust einlässt und nicht, wie es in Deutschland schon geschah, das fünf Jahre alte, zum Kultmusical avancierte Stück in einer geschlossenen Erziehungsanstalt oder ähnlich heiklem Ambiente spielen lässt.

Dankenswerterweise durfte er ins Große Haus, Robert Geiger schuf ihm eine großartige Ausstattung, die Maskenbildner toben sich wunderbar aus, und so entsteht in 90 Minuten zwar kein inhaltlich schwer wiegendes Stück, aber eine nahtlos geschlossene, fabelhafte Produktion von saftigem Unterhaltungswert.

Thomas Lackner ist ein sprachlich und darstellerisch brillantes Monster von Theaterdirektor, wühlt sich durch die klassische Literatur, streut ein paar aktuelle Anspielungen ein und entzückt mit zynischem Humor. Ein Zeremonienmeister, der durch die Moorlandschaft des menschlichen Bewusstseins irrt, die ersehnte Doppelbödigkeit in der Sprache.

Ihm zur Seite eine fulminante Judith Keller in musikalischer Ureigenschaft, sprühend vor Temperament. In stilistisch weit gespannten Liedern erzählt sie vielstimmig die Geschichten der ungehorsamen Kinder. Was überhaupt wäre dieser Abend ohne die coole Musik zwischen Pop und Soul! Ohne Markus Kraler (Leitung), Frajo Köhle und Siggi Haider, drei Kaliber, die das Stück tragen und sich für Gags einspannen lassen.

Da die "Chanteuse" die Lieder der Struwwelpeter-Figuren übernimmt, sind diese frei für Friederich, Konrad und Paulinchen, Suppenkaspar, Hans Guck-in-die-Luft und Zappelphilipp, den fliegenden Robert, den Jäger und die bösen Buben, Häschen, Hund und Eltern. Da begibt man sich nicht ins bürgerliche Kinderzimmer zum Daumenabschneiden, Hampeln und Träumen, und im Falle der Selbstverbrennung und Nahrungsverweigerung weit darüber hinaus, denn "Nein, meine Suppe ess' ich nicht!" hat sich drastisch in der Bedeutung gewandelt. Nein, Karbus schlägt, unterstützt von der Choreographie Dagmar Kostolnikovas, den Comic-Strip auf und erzählt ganz nah am Bildoriginal die Geschichten in ihrer Absurdität, Grausamkeit, Ferne - und Poesie.

Margot Mayrhofer, Walter Sachers, Frantisek Kostolnik Tomasz Winiarski, Markus Rupert, Nino Rohrmoser, Karim Ayoub und Johannes Weber hatten mit ihrer Körpersprache großen Anteil am Erfolg dieser Premiere. Alt und Jung jubelten, das Stück ist für Jugendliche ab ca. zwölf Jahren geeignet. -------------------------------------14.03.2005 19:51 Tiroler Tagesanzeiger online