Tiroler Landestheater Innsbruck: Schauspiel von Thomas Bernhard: Heldenplatz - Judith Keller als Anna - Premiere 2. Oktober 2010 Regie Klaus Rohrmoser

Tiroler Tageszeitung: Innsbruck So, 03.10.2010 | Die Gespenster vom Heldenplatz Von Sabine StroblDurchdacht und lebendig ist Klaus Rohrmosers Inszenierung von Thomas Bernhards einstigem Skandalstück „Heldenplatz“. Das Premierenpublikum dankte am Samstagabend im Landestheater mit einem Bravo.
Der Skandal ist vorbei, doch die Aktualität von Thomas Bernhards Spitzen auf die österreichische Gesellschaft ist geblieben. 22 Jahre nach der Uraufführung am Wiener Burgtheater wird jetzt erstmals am Großen Haus des Tiroler Landestheaters Bernhards „Heldenplatz“ gezeigt. Auch das Wiener Theater an der Josefstadt (die TT berichtete) hat das Stück, in diesem Fall vor der Wien-Wahl auf den Spielplan gesetzt.
Zum Innsbrucker Premierenabend: Eine Wohnung, die für den Umzug aufgelöst wird, entsteht vor den Augen des Publikums. Braune Holztäfelung, ein Flügel ohne Beine, Schränke und all die Kisten und Koffer, die nach Oxford gehen sollen. Kein Luster. Maria Frenzel hat ein stimmiges Bühnenbild entwickelt, dessen Blickfang das überdimensionierte, hochgestreckte Fenster auf den Heldenplatz hinaus ist. Ein beklemmender Fremdkörper, der auf Österreichs Geschichte bis 1938 blicken lässt. Hier also wird in den nächsten drei Stunden vom Schicksal der jüdischen Familie Schuster erzählt. Thomas Bernhard – zu Lebzeiten gehasst und geliebt, nach seinem Tod meist verehrt – hat sein Stück „Heldenplatz“ 50 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs, den Adolf Hitler am 15. März 1938 vor einer jubelnden Menge am Heldenplatz in Wien verkündet hat, angesiedelt. Familienangehörige und Freunde kommen anlässlich des Begräbnisses von Josef Schuster in seiner Wohnung zusammen. Der Professor hat Selbstmord begangen, kurz bevor er ein zweites Mal nach Oxford auswandern wollte. Dieser Selbstmord löst bei den Menschen, die ihn umgaben, eine Redewut aus. Ihre Worte und Wiederholungen umkreisen den Verstorbenen, der als zornig und Tyrann gilt. Nacheinander stellen sie fest, der Selbstmord begründet sich im „nationalsozialistischen“ Klima Österreichs. „Sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige, die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien“, schimpft der Bruder des Verstorbenen, Robert, im trüben Volksgarten.
Schauspielchef Klaus Rohrmoser hat in seiner Inszenierung sehr geschickt die ersten beiden Akte ineinandergeschoben. Der Regisseur setzt auf Lebendigkeit und Bewegung auf der Bühne, wenn die Bernhard‘schen Worttiraden – zu Politik, Bildung, Theater, Kirche und Presse – auf die Zuschauer einbrechen. Und er hat fein dosiert den schwarzen Humor, die Selbstironie Bernhards herausgearbeitet.
Schauspielerisch führt Johanna Lindinger als Frau Zittel das Ensemble an. Sie vereint in der Figur der Wirtschafterin die Gefährtin, Untertanin und Bewunderin des Professors. Gerd Rigauer gibt dem Professor Robert, dem die längsten Dialoge und Monologe gehören, viele Nuancen des verbohrten Alten. Ein Alter, der mit der Umwelt seine versteckten und boshaften Späßchen treibt. Nur an manchen Stellen hätte man ihn gerne dicker auftragen gesehen. Judith Keller mimt eine harte Tochter Anna mit weichen Seiten. Dass man auch mit kleineren Rollen viel zum Erfolg beitragen kann, zeigen etwa Elli Wissmüller als Dienstmädchen und Janine Wegener als Tochter Olga. Und auch Eleonore Bürcher, die die verwitwete Frau Professor als unnahbare Frau anlegt, gefangen in den Stimmen, die sie immer vom Heldenplatz hört. Thomas Lackner blieb hingegen als Sohn Lukas, den man herrlich als Nichtsnutz darstellen kann, flach.
Im Herbst 1988 war an Österreichs Stamm- und Küchentischen Bernhards „Heldenplatz“ das große Thema. Die „Österreichbeschimpfung“ ist als Skandal und Triumph in die heimische Theatergeschichte eingegangen. Buhrufe standen damals bei den 120 Aufführungen der Peymann-Inszenierung an der Tagesordnung. Am Samstag folgte ein konzentriertes Publikum dem Bühnengeschehen, das auch seine Freude an der Komik kundtat und mit einigen Bravorufen applaudierte