JUDITH MIRJAM KELLER  AUTORIN 

Sessler Verlag   Autorenwelt  Tiroler Dramatiker*Innen Festival

Alles neu zu denken, zu fühlen, zu handeln, uns zu begegnen, zu performen“                                        

5 Fragen an Künstler*innen:  8.4.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

Liebe Judith, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich bin es gewohnt, von frühster Jugend an, meine Freizeit selbst zu gestalten. Da ich mit sechs Jahren angefangen habe Violine zu spielen und anderes mehr, ist mir das tägliche Üben in den eigenen vier Wänden nie fremd gewesen. Während meiner Schauspielausbildung durfte ich verschieden Techniken und Methoden kennenlernen, um meinen Körper und meine Seele immer fit zu halten. Jetzt bin ich schon im letzten Drittel meines Lebens angelangt und immer noch absolviere ich mein tägliches Training für Stimme und Körper, unabhängig davon, ob ich bald einen Auftritt habe oder nicht. 

Da ich mich in den letzten Jahren auch als Autorin versucht habe, dieser Beruf hat ja bekanntlich viel mit Sitzen zu tun, ist es für mich wichtiger, den je einen Ausgleich von Sitzen und Gehen, von Drinnen und Draußen zu schaffen. Jetzt, wo alle Theater geschlossen sind und ich erst wieder Ende Mai meinen ersten Auftritt haben werde, sind natürlich die Ziele außer Haus beschränkt. Und jetzt kommt mein geliebtes Fahrrad ins Spiel. Schon vor der Corona Krise habe ich meine Jahreskarte bei den Wiener Linien gekündigt. Dank der vielen Fahrradwege bin ich ein Fahrradfan geworden. Früher wäre das nur schwer möglich gewesen, da es mir zu gefährlich erschien. 

Ich wohne im 6. Bezirk. Ich liebe es die Mariahilferstraße hinunterzufahren, durch
den ersten Bezirk zu streifen und dann entlang dem Donaukanal zu radeln, am
liebsten Richtung Nussdorf zum Kuchelauer Hafen. Dort kann ich meine geliebten
Boote bewundern. Ich segele für mein Leben gern und suche, wo immer ich bin,
die Nähe des Wassers. Sobald es etwas wärmer wird, in meinem Fall schon von April bis November, schwimme ich, wann immer ich kann, in der Donau. Beim Fahrradfahren mache
ich Sprech- und Gesangsübungen, lerne eine neue Sprache (im Moment Maltesisch), weil ich oft in Gozo/Malta bin. 

Es klingt vielleicht komisch für den Leser, aber Corona hat, außer der finanziellen
Situation, nicht wirklich was in meinem Leben verändert. Ich fahre nicht U-Bahn,
ich gehe überhaupt nicht gerne Einkaufen, außer ich brauche wirklich dringend
etwas. Für mich hat Einkaufen nichts mit Freiheit zu tun, im Gegenteil. Da ich
lange Haare habe, muss ich auch nicht zum Friseur. Ich nehme Henna braun um
meine Haare nicht weiß werden zu lassen. 

Ich habe in den letzten Monaten viel und gut und gerne gekocht. Ich liebe es auch, ins Restaurant zu gehen, aber es ist auch wunderschön anderen Menschen
mit einer Essenseinladung zu Hause eine Freude zu machen. Viele gute Gespräche
sind dabei entstanden und auch ich wurde als Dankeschön eingeladen.
Vielleicht noch zum Abschluss möchte ich ein neues Gefühl beschreiben, dass ich
in Wien, während der Corona-Krise erleben durfte: die Straßen und Plätze sind
plötzlich ein verlängerter Arm meines Wohnzimmers geworden. Ich habe zum
ersten Mal das Gefühl gehabt, dass die Stadt auch mir gehört. Ich nehme mir
einen Kaffee in der Thermosflasche mit und setze mich in den Loquaipark oder
auf die Bank vor dem Stephansdom und trinke, ohne ein schlechtes Gewissen
haben zu müssen, weil ich nicht konsumiere bzw. in ein Gasthaus gehe, meinen
selbst mitgebrachten Kaffee. Eine neue Freihet?

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Nicht in Angst erstarren, den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass alles so
schnell wie möglich wieder so sein soll, wie es war. So schlimm diese Pandemie
für uns alle ist, ist sie doch auch eine Chance alles neu zu überdenken, gewohntes
zu überprüfen und in Frage zu stellen, denn ich befürchte, dass dies nicht das letzte
Virus ist, das uns besucht und dass uns bestimmt noch viele herausfordernde
Momente bevorstehen. Durch das Erwärmen der Weltmeere gerät unser Klima
immer mehr in Schieflage, ein großes Artensterben ist im Gange. Unser
Ökosystem verliert sein Gleichgewicht und wir unseres mit ihr. Wäre es nicht
endlich an der Zeit zu handeln? Nicht nur im Aufrüsten von neuen Impfstoffen,
sondern im Visualisieren von neuen Lebensinhalten. Was ist wichtig in unserem
Leben? Wir sollten anfangen uns jeden Tag gegenseitig viele Fragen zu stellen und
nicht einfach blind weiter machen wie bisher.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und
persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt
dabei dem Theater/Film/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Es wäre schön, wenn wir wirklich vor einem Neubeginn stehen könnten.
Alles neu zu denken, zu fühlen, zu handeln, uns zu begegnen, zu Performern….
Leider hat uns die Wirtschaft fest in ihren Klauen. Wirklich frei davon zu sein,
bedeutet verzichten zu wollen…….Was haben wir unserer Natur zugemutet, wie haben wir unserer Tiere versklavt
und vergewaltigt….
Die Aufgabe der Kunst war es schon immer, der Gesellschaft einen Spiegel vor zu
halten, in dem sie sich erkennt und dadurch handlungsfähig werden kann. Wir
dürfen uns nie in unserer Meinungsfreiheit einschränken lassen. Wir müssen für
die Freiheit der Kunst kämpfen und ohne zu beschönigen, der Wahrheit auf der
Spur bleiben.

Was liest Du derzeit?

Der Schwarm von Frank Schätzing


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Live is a pain – au chocolat

Vielen Dank für das Interview liebe Judith viel Freude weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Musik-, Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

 
 
 
 
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